Viele sehen den Auslöser auch in der Pandemie, quasi noch eine Form von Long-Covid. Das kann sehr gut sein. Auf der einen Seite sind die, die während der Lockdowns nach Hause geschickt wurden. Sei es ins Home Office, sei es in Kurzarbeit oder in episodische Arbeitslosigkeit. Sie alle wurden zwangsweise aus dem Hamsterrad gerissen, fanden sich in einer Situation wieder, die noch kurz vorher undenkbar gewesen war. Viele merkten, dass es auch mit weniger Hektik, weniger Geld, dafür aber mit mehr Familien- und Ich-Zeit sehr gut ging. Zu dieser Gruppe gehören im weiteren Sinne auch die Selbstständigen, für die es wirtschaftlich einfach nicht mehr zu rechnen war. Sie entschieden, ihre Ersparnisse nicht für die Überbrückung und das Warten auf eine ungewisse Zukunft aufzubrauchen, sondern das Geld in sich selbst zu investieren.
Auf der anderen Seite sind die, die als kritische Infrastruktur definiert wurden. Die den Laden am Laufen halten durften, ohne gefragt zu werden. Die mit erhöhtem Stress, risikobehafteten Kontakten und extrem viel Undank klarkommen mussten. Da half auch kein Klatschen und kein Lavendel. Denen in der kritischen Infrastruktur wurde ihre Wertigkeit sehr klar aufgezeigt. Man sagte ihnen, Ihr seid unverzichtbar. Zeigte aber deutlich die Verachtung, die man für die dort Tätigen empfand. Sie alle haben sich gefragt, ob sie das nötig haben. Ob diese Fremdbestimmung wirklich ihr weiteres Leben bestimmen soll. Nicht alle können diese Fragen mit Nein beantworten. Aber von denen, die es theoretisch können, zogen überdurchschnittlich viele die Reißleine.
Nie zuvor sind weltweit so viele Menschen in den Vorruhestand gegangen. Die vielgeschmähten Boomer sind in einer Phase, wo ihre Kinder aus dem Haus sind und sie nur für sich selber rechnen müssen. Viele aus dieser Generation haben recht gut vorgesorgt für das Alter, viele haben Ersparnisse. Viele sagen sich jetzt - was soll ich noch mehr sparen, warum gebe ich das, was ich erspart habe, nicht für mich selbst aus. Ich kann die Zeit, die ich gewinne, auch anders nutzen. Noch habe ich eine gute Zeit.
Wir saßen neulich im Hafen mit einem Ehepaar zusammen, die 20 Jahre älter sind als wir und sprachen über dieses Thema. Auch die beiden haben sich noch vor ihrem 60. Geburtstag aus dem Erwerbsleben verabschiedet und er sagte sehr klar: Das war die beste Entscheidung, die wir treffen konnten. Ja, wir hatten und haben finanzielle Einbußen, wir haben Abstriche, keine Frage. Aber wir hatten und haben immer noch eine sehr gute Zeit. Als wir gingen, waren wir noch sehr fit. Wir konnten noch alles machen und wir haben die Zeit ergiebig genutzt. Unserer Gesundheit hat das auch sehr genutzt, erst jetzt merken wir so langsam das Alter. Wir sind sicher, wir wären jetzt schlechter zurecht, wenn wir diesen frühen Abschied nicht gemacht hätten. Genau das war auch mein Gedanke, ist mein Gedanke und ich fand es toll, diesen Gedanken derart bestätigt zu bekommen.
Und so freue ich mich auch für die Beiden, die heute morgen verabschiedet wurden. Ich für meinen Teil fand es ganz schön heute morgen, aber es ist mir auch recht, wenn wir uns in anderem Rahmen wiedersehen. Als ich mit dem Rad zurückfuhr, da war sie wieder da: Die Erleichterung. Dass ich meinen zugegeben schönen Arbeitsweg nur von hinten sehen muss.
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