Donnerstag, 10. November 2016

Der Tag von und der Tag nach "shock and awe"

"Guten Morgen, mein Kind. Es ist sechs Uhr, es hat geschneit und Donald Trump ist Präsident der USA. Such Dir aus, welche dieser Katastrophen für Dich die größte ist"

So reizend wurde gestern der Student im Palais geweckt. Von mir. Die ich bis zu diesem Zeitpunkt bereits die erste mentale Achterbahnfahrt des Tages hinter mir hatte. Kurz nach fünf ging mein Wecker - ausgerechnet am schicksalträchtigen 9. November, dem Tag, an dem historisch gesehen eher selten etwas Gutes geschah - war ein sehr frühes Morgenmeeting angesetzt. Gab mir die zweifelhafte Chance, "live" der nächsten 9.11. Wende beizuwohnen. Abends hatte ich noch getwittert:


aber ich hatte schon so ein komisches Gefühl. Allerdings eher so in die Richtung der Wahl Bush-Gore anno 2000.  Um fünf Uhr also erstmal Kaffee. Keine Katastrophenmeldung vor dem ersten Kaffee. Zur Sicherheit mit der Unterstützung Frank Underwoods.


Half aber auch nichts. Twitter auf: Florida ist noch nicht ausgezählt, aber Trump führt deutlich. Heilige Scheisse. Duschen, Anziehen. Kaffee 2.0., Twitter wieder auf: Done. Es ist passiert. Das, was keiner angeblich hat kommen sehen können. Es war fünf vor sechs und es stellte sich die Frage: Wie sage ich es dem Kinde? Siehe oben. Subtilität war noch nie so meine Sache.  Und watt soll ich sagen: Nix so schlecht, dass es nicht irgendwo gut für iss.( ©unser Omma, wissta ja ) .

So schnell hab ich das Kind noch nie aus dem Bett springen sehen. Wobei Springen wirklich wortwörtlich gemeint ist. Tjanun. Als Trost hatte ich nur den übelst hinkenden Reagan-Vergleich anzubieten. Es war und blieb ein Tag der Fassungslosigkeit. Auf Twitter und Whatsapp machten unzählige Bild-Montagen und Witzchen die Runde, irgendwie muss sich das schockierte Bildungsbürgerherz ja abreagieren und sein "Wir fühlen uns so klug und sind auf der Seite der Guten Gefüh"l ja wiederherstellen. Weltweit jubelten rechtsgerichtete Politiker und pöbelten alle anderen, was die Kinderstube nur so hergab. Sehr produktiv.  Nicht. Die Medien waren hilflos. Zugegebenermaßen, die Schlagzeile " Merkel mahnt, Mexiko mauert, Vatikan betet" im Handelsblatt fand ich auch noch einigermaßen gelungen. Allerdings eben nicht zielführend oder hilfreich. Der einzige Aufmacher, ,der mir wirklich aus dem Herzen sprach, war der unserer famosen Revierpassagen:

         
Wer zwischen den nicht vorhandenen Zeilen lesen mag, der liest das, worauf ich hier noch hinaus will, nämlich das bewährte Motto "Don't feed the trolls" ins real life zu übertragen.  (Und - um kurz zu something totally different zu wechseln - er liest die Schlagzeile, die sich da diese Rezensentin ausgedacht hat, um sich mal wieder einen gepflegten Verriß zu gönnen. Ist übrigens vielleicht gar nicht so totally different, geht auch da um Manierismen eines klugen, aber narzistischen Kopfes )

Ok. Gut. Nehmen wir den roten Faden wieder auf, dessen Fehlen ich andernorts ja so gerne zu bemängeln pflege. Es verging also der Tag. Trump war das Gesprächsthema Nr. 1. Egal, wen man traf. Selbst unter Schulkindern morgens im Bus. Die sich allerdings nicht einmal einig waren, ob der aktuelle Präsident von Amerika (sic) Obama oder Putin heißt. Willkommen im Bildungsniveau unseres Landes. Das sind die Wähler von morgen. Auch egal, was man las. Ich jedenfalls las wenig Konstruktives. Um genau zu sein: Es waren genau zwei konstruktive Beiträge zu den Ereignissen, die bis zu mir durchdrangen. Einen Beitrag, der sich die Mühe machte, Fakten zusammen zu tragen, bekamen wir dankenswerterweise im hauseigenen Intranet an die Hand. Für den anderen zeichnete Christian Lindner, FDP, verantwortlich, der sich als einziger Politiker ebenfalls der Mühe der Faktensammlung unterzog und zumindest erste Antworten gab. Ansonsten nur Polemik auf breiter Front. Oder Verharren in Schockstarre. Selbst der Ruhebewahrer mailte mir nur ein beredtes "Boot-Marrekrite".

Womit wir beim day after wären. Hilflosigkeit hat die Polemik abgelöst. Und Selbsterkenntnis. Ob allerdings als Weg zur Besserung wird sich noch weisen müssen. Denn dass selbst die NY-Times sich nicht entblödete, zu titeln, die Zeit für unabhängigen Journalismus wäre gekommen, lässt nicht nur mich mit einer Menge Fragezeichen zurück. Wo war denn der unabhängige Journalismus vorher? Schön, dass es mal einer zugegeben hat. Aber immerhin - man bemüht sich, zu verstehen. Und da gibt es einiges, was zu verstehen nicht einfach ist.

 Zu allererst muss man mal verstehen, dass Mister Trump ein Narzisst wie aus dem Bilderbuch ist. Und ich kann Euch aus eigener Erfahrung sagen, das geheime Supertalent von Narzissten besteht darin, zu manipulieren. Und zwar so geschickt, dass es schon einer ganzen Menge Nerven, Abgeklärtheit und Lebenserfahrung bedarf, um solcherart manipulative Mechanismen zu durchschauen und sich dagegen zu stemmen. Trump hat eines ganz klar erkannt: Er wusste, dass seine Anhänger übelst beschimpft und verachtet werden würden. Anstatt dagegen anzugehen, hat er das befeuert. Und alle, wirklich alle - Politiker, Medien, Stars - haben ihm den Gefallen getan und sind in diese Falle gegangen. Anstatt auf andere Weise zu versuchen, die Menschen zu erreichen, haben sie sich im Wähler- und Trump-Bashing verausgabt. Was Trump die einzigartige Möglichkeit gab, ein Wir-Gefühl zu erzeugen. Welches schließlich so stark war, dass es jeder Erschütterung standhielt. Natürlich hat das keine einzige Umfrage vorhergesagt. Hat sich ja kaum einer getraut, offen zuzugegeben, dass er für Trump war. Aber er hat im Geheimen gedacht: Wiegt Ihr Euch mal in Sicherheit, Ihr werdet schon sehen....  Und gesehen haben es erst alle am so geschichtsträchtigen 9. November.

Dazu kommen die Geister, die wir riefen. Jahrelang haben wir auf die Nichtwähler geschimpft. Das war auch in den USA nicht anders. Es hieß immer "Nicht wählen heißt rechts wählen". Das habe auch ich immer so gesagt und gedacht. Wir lagen falsch. Nicht wählen hieß für diese Klientel wohl, Nicht wählen heißt nicht rechts wählen. Die linke hat keine Lösung und keine Alternative für die sozial Abgehängten und die, die Angst davor haben, angeboten. Nun suchen sie die Lösung rechts. Das ist übrigens nicht neu. Das hatten wir schon mal. Dass die Linke der beste Wahlhelfer der Rechten war. Sehet die Zeichen.

Noch ist Zeit in diesem Land, noch kann etwas getan werden, um die Menschen, die sich abgehängt oder von diversen mehr oder weniger diffusen Ängsten bedrängt fühlen, die sich nicht länger von selbstherrlichen selbsternannten Besserwissern gängeln lassen wollen, die sich angezogen fühlen von der Macht des Faschismus, die nicht über bildungsbürgerliches Verständnis verfügen, die nicht intellektuell, intelligent oder whatever sind, mitzunehmen. Denn sie alle sind wahlberechtigt. Mit Arroganz, Überheblichkeit oder Gängelei wird sie man nicht erreichen. Es wiegen sich viel zu viele in der Sicherheit des "Ich weiß es besser, ich gehöre zu den Guten" und übersehen, was um sie herum passiert. Weil sie nicht hinsehen. Es nicht sehen können, es nicht sehen wollen, meistens aber, weil sie gar nicht auf die Idee kommen, über ihren Tellerrand hinaus mal irgendwo anders hin zu sehen. Kaum einer derer, die sich jetzt empören, kommt auf die Idee, dass es ganz ganz viele gibt, denen es nicht so gut geht wie ihnen selbst.

Ich möchte gar nicht wissen, wieviele in Deutschland klammheimlich mit Trump sympathisieren. Bzw. mit dem, was er für sie verkörpert und von dem sie denken, dass es an der Zeit ist: Protest. Egal, wie blind diese Art des Protestes ist. Und es wird nichts helfen, wenn sie lesen, wie sie beschimpft werden.  Auch wenn die Empörung und das Nicht-Verständnis über Wählerverhalten absolut verständlich sind. Es wäre klüger, die Trolle nicht zu füttern. Denn genau das spielt denen in die Hände, die es einfach nicht werden dürften. Der selbsternannten sogenannten Alternative hierzulande zum Beispiel. Und ja - es ist dringend Zeit für Protest. Aber statt einfach das fast food anzureichen, welches geschickt Manipulierende generieren wollen, sollte man wirklich Nahrhaftes und Bekömmliches anbieten. Es muss etwas geschehen.

Ich konnte gestern sehr schlecht einschlafen, obwohl ich ewig lang wach war. Als Einschlafhilfe durften wie so oft die begabten Jungs von Bastille fungieren. Und kurz bevor ich wegdämmerte, dachte ich, so wird es sein, wenn es ganz schlimm kommt. Wenn nichts geschieht.

Things we lost to the flames
Things we'll never see again
All that we've amassed
Sits before us, shattered into ash
These are the things, the things we lost
The things we lost in the fire  .

(©Bastille -  Things we lost in the fire)

Glückauf für die, die dagegen angehen oder anschreiben. Vielleicht ist es noch nicht zu spät.  Die Hoffnung stirbt zuletzt.

( Ich wünsche allen ein schickes Wochenende. Für mich war es das blogtechnisch diese Woche. Ich habe feddich mit schönschreiben und auch von Statistiken habe ich diese Woche mehr als genug. Auch von denen, die ich selbst fälsche )


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