Mittwoch, 20. Juni 2012

Ein unheiliger Tag in Gelsenkirchen


eine Un- Kritik zu Unheilig and special guests im Amphitheater Gelsenkirchen.
Sonntag war es soweit. Die dunkle Rose und ich machten uns auf in die Nachbarstadt, dem Grafen im Amphitheater aufzuwarten.
Leicht gespannt, aber durchaus gewarnt. Herr Niemand und Frau Sandersonia bildeten am Samstag die Vorhut und berichteten bereits von buntem Publikum und überfüllten Parkplätzen. Wir -nicht blöd - also zeitig los und landeten bei strahlendem Sonnenschein auf dem ehemaligen Bu-GA-Gelände am Kanal in GE an. Ist schliesslich auch ohne Mucke ein lohnendes Ausflugsziel, wo man entspannt schlendern und sich zu müßig gehenden Ruhrpott-Oppas gesellen kann, um die neuesten Dönnekes vonne Schalkers und die Wahrheit über Herkules zu erfahren.
Immer noch strahlend besonnenscheint, aber mit drohendem Gegrummel im Hintergrund - östlich oder nördlich war nicht so ganz auszumachen, auch nicht für findige Pfadfinderinnen wie unsereins - ging es zum Eingang. Eingang Nr. 2 wohlgemerkt. Der für die Veteranen. Schon da zeigte sich - das Publikum war nicht nur ballermannig bunt, Konzert-Anaphabetismus kam auch hinzu. Zwei Eingänge. Vor Nr.1 standen ca. 5.900 Leute, vor Nr.2 ca. 100. Da können Ordner ordnen, wie sie wollten, Lemminge bleiben in ihrer Schlange und senden noch gerne böse Blicke denen hinterher, die hören können und zu Eingang Nr.2 traben. Nutzte uns allerdings auch nicht wirklich was, denn kaum in der kleinen Schlange stehend - öffnete der Himmel seine Schleusen, es starkregnete, hagelte, donnerte und blitzte geradezu - ja, unheilig irgendwie. Ganz irdisch durchnässt waren wir nach wenigen Minuten. Nichts ging mehr. Ausser zurück in die Citrone, Heizung auf volle Pulle rauf, Killerqueens bis auf die Unterwäsche aus. Warten und trocknen und warten. Das muss man ihr lassen - das Gewitterwölkchen hatte alles gegeben. Wölkchenbändigern blieb als letzte Chance nur noch die SMS.
Unwort des Tages: Amtliche Warnung.
Nun denn, nur die Harten kommen in den Garten. Auf Stufe Klamm getrocknet das Eingangsspiel auf Reset und sofort festgestellt: Publikum fällt zu 90 % in die Kategorie "ich finde Menschen generell nicht gut". Kleiner Gag am Rande: Eingangsspiel hat anscheinend so mächtig viel Spaß gemacht, dass es sich vor den Aborten wiederholte. Toi-Wagen Nr.2: 10 Leute in der Schlange. Toi-Wagen Nr.1: ca.300. Die Blicke, welche die Klugen trafen, die sich zu Wagen Nr.2 aufmachten, waren allerdings gefühlt noch tödlicher. Nun wissen wir endlich, wie es ausschaut, wenn RTL 2 Publikum ins reale Leben geschmissen wird. Herr, laß Hirn vom Himmel regnen. Herr ist allerdings schwerhörig und ließ lieber wieder Regen regnen. Machte fürs erste nicht viel, erster Support-Act "das gezeichnete Ich" - nein, danke. Nimm er erstmal Gesangsstunden. Wir zeichnen lieber unser Shopping-Ich und stöbern an den Ständen. Der übliche Krams und - eine Kuschel-Puppe aka Graf. Schüttel!
Trauma-Schmerzgrenze fast erreicht.
Zum Glück gab es Down Below. SupportAct Nr.2. Von nicht wenigen freudig erwartet, begrüßt und gefeiert. Die Jungs hatten sichtlich Spaß. Zum einen an den Feiernden, zum anderen konnten sie ganz offensichtlich dem irritierten Mienenspiel der Bunten eine amüsante Seite abgewinnen. Carter, der Gitarrist freute sich über jedes bestätigende Grinsen aus dem Publikum und Sänger Neo Scope lieferte den Satz des Abends: "Wir wollen ja nicht vergessen, daß wir hier auf einem Gothic Konzert sind". Danke dafür. Ansonsten - da dies hier ja eine Un-Kritik ist - nur soviel: Down Below, Ihr wart großartig, habt Spaß gemacht. M.E. sind Eure Tage als Support Act sowieso gezählt, Ihr seid headliner-reif und könnt selbst supporten. Ich werde bestimmt mal zuschauen.
Nächster Support-Act: And One. Schon etwas Bunte-kompatibler brachten sie den 80er Synthie-Pop Sound a la Depeche Mode, Alphaville mit. Bedauerlicherweise konnte ich dem schon in den 80er mal so gar nichts abgewinnen, allerdings konnten die Jungs da ja nichts für. Deshalb fairerweise: Auch wenn es - wie ich sorgfältig recherchierte- vorher Knatsch in der Band gegeben hatte und man in provisorischer Besetzung spielte, es war ein guter Auftritt. Kann man nicht meckern. Wohl aber übers Publikum. Blöderweise kam mit den 80ern auch der Regen zurück und selbst in relativer Vorderfront sah man nur tanzende Regenschirme, die diversen Augen mit spitzen Spitzen gerne bedrohlich nahe kamen. Folgendes Bild vor mir: Jack-Wolfskin bejackte Menschen, Kapuze tief ins Gesicht, Regenschirm drüber, aber mit Airforce bedrucktes Täschchen.
Mann oder Memme - die Frage beantwortet sich wohl von selbst.
Und dann stieg die Spannung. Kids kamen aus dem unheiligen Spieleparadies gekrochen, der Platz vor der Bühne wurde voller. Tussen-Alarm vor, hinter, neben uns. ButtonDown Krägelchen und Collegeschuhe neben Birkenstock Sandalen. Security suchte sich die besten Plätze zum Gucken - was soll man auch securen? Fluchtwege zum Beispiel? Treppen freihalten? Wozu? Soviele sind jetzt auch wieder nicht bei der Love-Parade gestorben. Duisburg 2010 ließ grüßen. Wir probten den "Wir-stehen-wie-eine-deutsche-Eiche-uns-rennt-keiner-um-Griff". Erschien ratsam.
Dann endlich - der Himmel schloß die Schleusen, es regnete rote Rosen. Es wurde unheilig. Der Graf erschien und schmiss die Maschine an. Zeitgleich erschienen hinter uns so richtig nette Konzertbesucher. Männer - Typ Biedermann, gerötetes Gesicht ob der Erregung, in Remineszens an längst vergangene, mit einem Hauch von Rebellion gesegnete Jugendtage, mal etwas richtig Verwegenes zu tun und sich auf ein Unheilig Konzert zu wagen. Natürlich nicht ohne Bewachung ihrer direkt vom Spielplatz weggezerrten Birkenstock-belatschten Gattinnen. Belämmert beleidigter Gesichtsausdruck und vor dem Körper verschränkte Arme. Wie gesagt, Graf schmiss die Maschine an und was macht eine derer bebirkenstockten Spaßbremsen? Tippt uns auf die Schulter und befiehlt mit bitterbösem Blick: "Mädels, jetzt nicht auch noch stampfen, ja?" Ich bin selten sprachlos, aber da war ich kurz vor dem "Ein-Amoklauf-könnte-befreiend-wirken-Gefühl." Wenigstens Miepsi war so geistesgegenwärtig, der Ollen ein "Was glaubt Ihr, wo ihr seid? Hier ist nicht das Schlagerfestival." entgegenzuschleudern. Zu Eurer Beruhigung sei gesagt: Birkenstock-Spaßbremsen haben keine Macht. Deren Blicke können nicht töten. Unsere leider auch nicht.
Zum Konzert: Es war toll, es war großartig. Der Graf ist immer noch derselbe, aber unser Eindruck war: Mit diesen Massen kann er nicht so wirklich umgehen, da fehlt ihm die Chuzpe und Frechheit eines Campino. Herrn Frege hätte "Oh, wie ist das schön" oder noch peinlicher "einer geht noch, einer geht noch rein" Rufe der Bunten mit Sicherheit anders als mit Verlegenheit zu parieren gewußt. So gilt meine Konzertkritik vom Tourauftakt in Bochum letztes Jahr unverändert, bis auf den letzten Absatz, der sich auf den neuen Erfolg bezieht. Das muss ich leider, leider relativieren. Die Geister, die der Graf rief, er wird sie nicht mehr los und die Geister, sie sind nicht mehr schön. Der Graf singt seine unheiligen Texte mit heiligem Ernst, fast missionarisch beseelt. Alleine - die Menge will sich nicht beseelen lassen, sie will gröhlen und Schlager hören. Rockigere Stücke rufen Befremden hervor, die ernsten, traurigen Lieder dienen allenfalls als Gelegenheit für "Biedermann sucht den Biermann". Viele Gruppen haben diese bewegenden Momente, wo es ihnen ernst und fast schon heilig ist. Bei den Hosen "Nur zu Besuch", bei BAP ist es "Dir allein", bei Unheilig eben "An Deiner Seite". Nur das sonntägliche, konzertanalphabetische Publikum - es weiß davon nichts. Es weiß nicht, dass ein Publikum sich normalerweise in diesem Momenten gemeinsam besinnt und das würdigt, was mit diesem Lied besungen wird. Ein trauriger, ein bitterer Moment
war dies. Wahrhaft unheilig und unwürdig.
Was vom Sonntag übrig blieb:
die Frage "Was und wo war denn jetzt die Pyramide" und der Wunsch an den Grafen: Gute Heimreise. Von uns das Versprechen: Wir sehen uns wieder. Wenn der Hype
vorbei ist. 2015 in der Matrix. Die Verabredung steht.
P.S. Noch eins an's motorisierte Publikum. Macht in DreiGottesNamen ein Fahrsicherheitstraining. So tief war die zu durchfahrende Pfütze nun auch wieder nicht am Ende des Parkplatzes, daß sie solch einen Rückstau rechtfertigte!