Dienstag, 20. Oktober 2015

Carrie 2.0 - die wundersame Entdeckung von Homeland

Kinners, nee. Ich bin schwer enttäuscht. Watt sacht uns denn keiner, was dieses Homeland für eine großartige Serie ist? Gut, hätte man drauf kommen können, Hauptfiguren, die Carrie heißen, können per se nicht schlecht sein, aber...

Ja, wie so oft. Der Fehler liegt im Aber. Natürlich hatte ich davon gelesen. Beste Serie derzeit auf dem Markt. Großartige Schauspieler. Toller Plot. Süchtig machend. Eine Serie, in der Gut und Böse nicht auseinander zu halten sind. Aber - Serien in Sat eins? Mit Werbung noch und nöcher dazwischen? Selbst wenn man sie aufnimmt, es macht keinen Spaß, wenn man dauernd vorspulen muss. Von daher - nee danke. Bis neulich.

Wie berichtet, wir sind unter die Streamer gegangen, jetzt wo wir doch dieses wundersam schnelle Internet haben. Vorher war es ja schon mit der Heute-Show aus der Mediathek so ein Ruckel-Ding. Muss man sich ja mit Serien erst recht nicht antun. Aber jetzt. Amazon Prime hat die ersten drei Staffeln im Angebot und wir entschieden uns, einfach mal damit anzufangen.

Diese Entscheidung war leicht. Die Entscheidung, damit aufzuhören und sei es nur für den Tag - fast unmöglich. Ja, stimmt. Macht süchtig. So großartig. Muss ich was über den Inhalt erzählen? Nicht wirklich oder? Ok, Kurzfassung: Carrie, durchgeknallte CIA-Agentin, immer kurz vor dem nächsten psychotischen Schub. Brody,nach 8 Jahren Gefangenschaft bei AL-Kaida wundersam befreiter und zurückkehrender Marine Soldat. Der Hinweis, Al Kaida hätte einen Kriegsgefangenen umgedreht. Brody? Carrie glaubt das. Außer ihr allerdings keiner. Aber könnte sie nicht recht haben? Obwohl sie ganz offensichtlich nicht mehr alle Tassen im Schrank hat? Und Brody? Ist er der liebende Familienvater mit allen natürlich denkbaren Schwierigkeiten, sich wieder einzugewöhnen? Oder ist er ein Schläfer?

Man weiß es nicht. In keiner Minute weiß man es so wirklich. Gut ist nicht gut, böse ist nicht böse in dieser Show, Man mag keinen leiden, man findet sie alle toll. Man findet die Action-Szenen atemlos, man findet den Plot irre spannend, man leidet mit Brodys Familie mit, die sich mühsam mit den neuen Umständen zu arrangieren sucht. Man ist starr vor Entsetzen, man ist hingerissen vor Begeisterung. Es gibt Szenen, die derart unter die Haut gehen, dass man sie nie mehr vergisst: Der Kriegsheimkehrer Brody, unfähig, mit seiner Frau zu schlafen, kniet sich selbst befriedigend vor sie hin, während sie nichts tun darf als mit entblösster Brust da zu sitzen und sich weit weg zu wünschen. In derselben Minute: Carrie, die zuhause die big sister gibt und Brody video überwacht, die sich Popcorn in den Mund schiebt und unbeteiligt diese armselige Masturbationsnummer betrachtet.

Nächste Folge: Die Hütte am See. Carrie und Brody. Auf einmal. Sie verbringen ein leidenschaftliches Wochenende miteinander, sind sie wirklich verliebt? Oder sich nur gegenseitig Mittel zum Zweck? Brody findet heraus, welchen Verdacht Carrie hegt und setzt alles daran, diesen zu entkräften. Nur um sie danach hart und brutal zu verlassen. In genau der Minute, in der Carrie vom CIA den vermeintlich ultimativen Beweis erhält, dass sie sich wirklich geirrt hat. Nur, um in der nächsten Sequenz Brody in seiner Garage zu sehen, wie er auf dem Gebetsteppich knieend nach der rituellen Waschung Allahuakbar intoniert. Der Familienausflug nach Philadelphia, in dessen Verlauf Brody seinen Kindern amerikanischen Patriotismus hardcore beibringt. Um in einem kurzen Moment des Alleinseins bei einem Hinterhof-Schneider eine vorbereitete Selbstmord-Attentäter Weste abzuholen. Und so weiter und so fort.

Heute abend werden wir die letzte Folge der ersten Staffel sehen, nur um mutmaßlich direkt mit der zweiten Staffel weiter zu machen. Und es ist nicht nur die Handlung, die einen dazu zwingt. Es sind die vielen Schattierungen, die man nicht deuten kann. Das Entsetzen, wenn man sieht, was der Kampf gegen den Terror aus Amerika und vor allem aus den unmittelbar Beteiligten gemacht hat. Und nein - ich finde diese Serie bis jetzt nicht  rassistisch, wie es dieser Tage durch die Presse ging. Ich finde sie eher sehr schattierend, sehr vielfältig. Zumindest in der ersten Staffel wird keiner in Schablonen gezeigt. Vier Religionen hatten wir schon, alle hatten gute und böse Akteure, ja gut - die Hindus erst eine und die war in sich tief zerrissen.

Was so verstört an dieser Serie: Verrat geschieht dort durch Liebe. Keiner wird wirklich unter Druck gesetzt, sie werden zum Terroristen aus Liebe, in unheiliger Allianz mit Rachsucht. Der meistgesuchte Terrorist der Welt verrichtet sein bösartiges Werk nonchalant und ganz nebenbei, erscheint ansonsten aber als sanfter Einflüsterer, dem Brody aus Dankbarkeit und Liebe folgt. Oder folgt er ihm doch nicht? Ist er doch in Carrie verliebt, was bedeutet sie ihm? Aber warum verrät er sie?

Und erst die Schauspieler! Ganz großartige Leistungen. Wie schön, dass Serien in den USA schon lange reüssieren und es für die Akteure keinen Rückschritt bedeutet, eine Serienrolle anzunehmen. Ganz im Gegenteil, die erste Garde ist es mittlerweile, die wir dort zu sehen kriegen. Es ist nicht nur mehr nur der Konsument, der den Wunsch nach episch auserzählten Werken hat, auch die Schauspieler scheinen zunehmend diesem Reiz zu verfallen. Kevin Spacey in House of Cards, Matthew mcConoughey Woody Harrelson in True Detective, hier jetzt die großartige, so nuanciert und differenziert spielende Claire Danes. Die Titanic war ihr zu flach, aber hier hat sie die Rolle ihres Lebens. Damian Lewis, gehandelt als next James Bond gehandelt wird und hier in der Rolle des Brody, der mit einem ganz zurückgenommenem Mienenspiel tausende in sich widerstreitende Gefühle auszudrücken weiß.

Am Ende einer jeden Folge weiß man nicht, ob es einem gefallen hat, wen man mag, wen nicht, ob es einem überhaupt wichtig ist, was dort passiert. Man weiß nur, dass man unbedingt weitergucken muss. So viel wie geht an einem Abend. Wir sind dann mal streamen.

Wir schauen Homeland auf Amazon Prime. Es gibt aber wohl auch noch andere Streaming Anbieter, die zumindest die erste Staffel im Programm haben. In den USA ist derzeit die fünfte Staffel angelaufen, welche in Berlin spielt und auch eine erste Garde deutscher Schauspieler verpflichtet hat, Sebastian Koch zum Beispiel habe ich in einer Vorschau gesehen.