Dienstag, 23. Juni 2015

Einmal heulen ist Pflicht - zumindest bei Sing meinen Song

Es ist Dienstag. Schön. Na und? Watt willse mir jetzt damit sagen? Meine zwitschernden Freunde wissen schon, worauf ich hinaus will: Dienstag-Abend ist #SingmeinenSong-Abend
Jeden Dienstag kann man derzeit wieder ganz Erstaunliches auf Twitter beobachten. Der Kurznachrichtendienst wird mittlerweile von Fernsehschaffenden gefürchtet, die Stimmung irgendwo zwischen Angst, Wut und Respekt vor dem sogenannten "second screen" angesiedelt. Der Second Screen, das sind die Twitterer, die das Geschehen auf der Mattscheibe mit Tweets begleiten, mal weniger, oft mehr hämisch. Wenig bleibt da vom gezwitscherten Lästern verschont, von der royalen Hochzeit über Tatort bis hin zu diversen Trash-TV-Formaten, es gibt nichts, was nicht kollektiv kommentiert wird. Faustformel dabei: "Nett ist die kleine Schwester von Scheisse",  Witzigkeit oft nur einen Schritt von Bösartigkeit entfernt. Immerhin - die entsprechenden Hashtags sind schnell in den trending topics und warum sollte nicht auch hier die alte Verleger-Weisheit gelten: Ein Verriss bringt Auflage.
Dienstagsabends ist derzeit alles anders. Dann trendet der Hashtag auch schnellstens, aber vom üblichen bösen Gelästere sind die zugehörigen Tweets weit entfernt. Der Hashtag lautet #singmeinenSong und gehört zur gleichnamigen Sendung, die in diesem Jahr bereits in der zweiten Staffel auf dem für innovative Qualitätsoffensive sonst eher nicht bekannten Sender Vox läuft. In dieser Sendung sitzen bekannte deutsche Musikschaffende diverser Couleur auf einer Couch und singen sich gegenseitig ihre Lieder in einem Tauschkonzert vor. Jede Folge ist jeweils einem der Mitwirkenden gewidmet und die anderen interpretieren seine Lieder. Mehr passiert nicht. Auch wenn am Ende jeder Sendung der im Mittelpunkt stehende Künstler eine Blume an den Interpreten vergeben darf, dessen Interpretation ihm am besten gefiel - ein richtiger Wettbewerb findet nicht statt und schon gar nicht wird einer bloßgestellt. Es geht wirklich einzig und allein um die Musik. Umso erstaunlicher, dass diese Sendung so ein Erfolg werden konnte.
Ich bin im lezten Jahr auch nur durch Twitter auf die Sendung aufmerksam geworden, schaltete neugierig ein und konnte die Begeisterung in der Tat sofort verstehen. Zu hören war damals in diesem Moment Sarah Connor im unprätentiösem Holzfällerhemd, andächtig interpretierte sie ein Lied des Singer/Songwiriters Gregor Meyle, ganz konzentriert auf die Musik und ihre tatsächlich tolle Stimme. Gänsehaut schon nach 2 Minuten Zuschauen. Und das bei Sarah Connor, die ich in quasi gar keiner Erinnerung hatte, zumindest keiner guten.
"Sing meinen Song" wurde nicht nur auf Twitter mit Lob überschüttet, sondern bekam auch etliche Preise und war der größte Überraschungserfolg des vergrangenen Jahres. Derzeit läuft die zweite Staffel, Gastgeber ist Xavier Naidoo, der wohl auch die Idee für diese Sendung hatte und lange Klinken geputzt hat, bis sie endlich in Produktion ging. Der Erfolg hat ihm Recht gegeben. Naidoo selbst ist ja auch eher ein Künstler, an dem sich die Geister scheiden. Wie auch bei den anderen Mitwirkenden, von denen etliche - sagen wir es freundlich - polarisieren, wie z.b. Andreas Bourani, Yvonne Catterfield oder zwei der Chorknaben von den Prinzen. Also alles Musiker, mit denen ich persönlich ja ziemlich wenig am Hut habe, dazu noch welche, die ich mir an und für sich im Leben niemals antun würde, wie z.B. den pur-istischen Frontmann Hartmut Engler. Wie jetzt? Da sitzen also lauter Leute, mit denen nicht nur ich wenig anfangen kann und ich gucke trotzdem? Ja, und Gründe dafür gibt es genug.
- die Sendung ist komplett unprätentiös und vom gewohnten Casting-Geschrubbel-Tschaka-Geschreie meilenwert entfernt
- die Mitwirkenden verstehen ihr Fach, sie sind mit Begeisterung und ganz viel Kreativität bei der Sache. Es ist einfach schön, Leuten zuzusehen, die wissen, was sie tun und dabei Spaß haben.Sich ganz nebenbei aus eingefahrenen Mustern befreien, neue Schubladen öffnen und sich neu entdecken.
- einmal heulen ist Pflicht. Das ist der Top-Tweet zum hashtag, den unsere liebste Watson123 vor Wochen dazu schrieb. Und genauso ist es. In jeder Sendung kommt eine Darbietung, die so toll, so atemberaubend, so hinreißend ist, dass sie nicht nur für Gänsehaut sorgt, sondern für kollektives Schniefen und Aufenreiben.
#singmeinensong
- Die Sendung überrascht. Es entstehen immer wieder ganz ungewohnte Kombinationen. Altbekannte Lieder, die sonst nur noch auf die Nerven gehen, entfalten plötzlich einen ganz neuen Reiz. Ebenso wie Lieder, die man sich sonst nie im Leben freiwillig anhören würde. Die Sendung rund um die Songs von Andreas Gabalier war ein echtes Highlight der ersten Staffel.
- Künstler, mit dennen man sich sonst im Ansatz niemals beschäftigen würden, verblüffen auf ganzer Linie. Wecken Sympathien und begeistern vor allem mit einem Können, das man ihnen niemals zugetraut hätte. In dieser Staffel ist es vor allem Yvonne Catterfield, die eine ganz wundervolle Stimme hat und alle regelmäßig zu Begeisterungsstürmen hinreisst.
- Der "underdog". In der letzten Staffel war es der gefühlvolle Gregor Meyle, der erst durch diese Sendung einem größeren Publikum bekannt wurde und seine Bekanntheit zu Recht steigern konnte. In dieser Staffel ist es der Rockmusiker Daniel Wirtz, den wirklich nur sehr wenige vorher kannten, der aber völlig verdient gerade vom Geheimtipp zum Publikumsliebling wird, so toll sind seine Interpretationen.
- Der wertschätzende Ton, der in dieser Sendung gepflegt wird, färbt ab. Natürlich wird auch unter diesem Hashtag mal gemeckert, aber - Kritik unter der Gürtellinie ist kaum zu finden. Doch alle sind sich einig - das Prinzip der Sendung und seine Umsetzung ist richtig, richtig gut.
- begleitet werden die Künstler von einer sehr guten Live-band, die alle Bandbreiten präzise beherrscht. Da ist nichts mit den gefürchteten Covers from hell, wie man sie z.B. aus letsdance kennt.
Heute Abend stehen die Lieder von Daniel Wirtz im Mittelpunkt und ich bin sehr gespannt. Und ich freu mich auf meine wöchentliche Twitter-Verabredung und natürlich auf das gemeinsame Heulen. Bis gleich.